20.09.2018
Human Resources Manager, Ausgabe August/September 2018

Aus dem Krieg – zurück in die Normalität

Ein Gastbeitrag von Valentina Mählmeyer und Caroline Strobel
Auf dem Arbeitsmarkt haben Frauen mit Fluchthintergrund oft ähnliche Herausforderungen zu bewältigen wie jede andere berufstätige Frau auch. Allerdings kommen noch weitere Hürden hinzu. Wie Integration dennoch gelingen kann.

Lock Your World ist Partner im Netzwerk "Unternehmen integrieren Flüchtlinge" und beschäftigt eine alleinerziehende Mutter aus Syrien in Teilzeit-Ausbildung, um ihr die Integration und die Betreuung ihres Kindes neben der beruflichen Tätigkeit zu ermöglichen.

Manal Bourhan flüchtete vor drei Jahren gemeinsam mit ihrem Sohn aus Syrien. Die 32-jährige Witwe wollte in Deutschland einen Neuanfang wagen. Als sie nach einer kräftezehrenden Flucht endlich hier ankam, warteten neue Probleme auf sie: Ihr Abschluss als Zahntechnikerin wurde nicht anerkannt.

Zwischen 2012 und 2016 sind rund eine halbe Million Frauen nach Deutschland geflohen, das ist etwa ein Drittel aller Asylbewerber. Laut einer Analyse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird dieser Anteil aufgrund des Familiennachzugs künftig noch steigen. Über 40 Prozent der weiblichen Asylbewerberinnen sind unter 18 Jahre alt, weitere 38 Prozent im Alter zwischen 18 und 35 Jahren. Viele geflüchtete Frauen hoffen – zum Teil zum ersten Mal im Leben – für ihren Unterhalt eigenständig aufkommen zu können und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Doch dieser Weg ist steinig.

Das Jobcenter vermittelte Manal Bourhan als Praktikantin an den hessischen Sicherungstechnik-Hersteller Lock Your World in Bad Orb. Danach begann Bourhan dort ihre Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement. Die Ausbildung absolviert sie momentan in Teilzeit, damit sie sich auch um ihren Sohn kümmern kann. Dass eine Teilzeitausbildung nur bei wenigen Unternehmen gängig ist, weiß Geschäftsführerin Manuela Engel-Dahan. Einige scheuen den vermeintlich höheren Aufwand und die längere Ausbildungsdauer, auch der Bekanntheitsgrad einer Teilzeitausbildung ist noch gering. „Jedes Unternehmen muss für sich die Ziele im Bereich Integration bestimmen. Für mich stand im Vordergrund, geflüchtete Frauen zu stärken. Sie erleben zum Teil eine doppelte Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt“, sagt Engel-Dahan. Einerseits sollen auch sie Beruf und Familie unter einen Hut bekommen, andererseits werden sie mit Vorurteilen des Arbeitgebers konfrontiert. Meist sind das unbewusste Vorbehalte: So befürchten manche Arbeitgeber, dass eine Erwerbstätigkeit durch die Religionsausübung oder das Tragen eines Kopftuchs behindert werden könnte.

Es gibt nicht die eine „geflüchtete Frau“

Viele geflüchtete Frauen haben eine hohe Arbeitsmotivation. Aber ohne dazugehörige Qualifikation ist diese für viele Unternehmen nicht ausreichend. Das Qualifizierungsniveau unter den Frauen ist dabei sehr unterschiedlich – es gibt kein allgemeingültiges Profil einer geflüchteten Frau. Unter den Asylbewerberinnen sind beispielsweise Akademikerinnen aus Syrien oder Iran, die keine Berührungsängste mit MINT-Berufen haben oder bereits als Ingenieurinnen, Journalistinnen oder Lehrerinnen gearbeitet haben. Andere wiederum haben keine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung. Ihnen bleiben schnell anlernbare Tätigkeiten aus den Bereichen Pflege, Reinigung, Tourismus, Hotel- und Gaststättengewerbe. Dort sind die Einstiegshürden niedrigerer, allein schon wegen des bestehenden Fachkräftemangels.

Die Unterschiede im Qualifikationsniveau erklären sich auch durch den Zugang zu Schulen im Herkunftsland. Während 35 Prozent der Männer in ihrem Heimatland Schulen besucht haben, sind es bei den Frauen nur 21 Prozent. Auch der Anteil an bezahlten beruflichen Erfahrungen von Frauen im Herkunftsland ist deutlich niedriger als bei Männern. Laut BAMF-Flüchtlingsstudie liegt er unter den Frauen bei 40 Prozent, bei Männern sind es hingegen 75 Prozent. Allerdings haben manche Frauen teilweise nebenher als Näherin oder Hilfskraft gearbeitet. Diese Kenntnisse sind häufig nicht durch Zertifikate nachweisbar, aber eben durchaus vorhanden.

Der Reality-Check

Geschäftsführerin Engel-Dahan hat sich für die Suche nach einer passenden Mitarbeiterin Hilfe geholt: Das örtliche Jobcenter hat dabei geholfen, die vorhandenen Fähigkeiten von Manal Bourhan einzuschätzen. Für Engel-Dahan ist sie ein absoluter Glücksgriff: „Sie hat sich gut eingearbeitet und kommt mit allen Kollegen sehr gut aus – sie ist eine Bereicherung für das Team.“ Vor allem für Mittelständler ist es eine große Entlastung, sich durch bereits existierende Angebote Hilfe bei der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter zu holen. Neben den Kammern und dem Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ bieten sich auch regionale Initiativen an.

Die Integration geflüchteter Frauen ist eine Herausforderung, die Angela Dovifat sehr gut kennt. Dovifat ist Leiterin des Projekts „Point – Potentiale integrieren“, initiiert vom Berliner Bildungsträger Goldnetz und finanziert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSF). Das Projekt soll geflüchtete Frauen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützen. Vor allem der Spracherwerb sei langwierig: „Wie lange würden wir wohl brauchen, um auf Arabisch kommunizieren zu können?“, fragt Dovifat. Solche Kurse würden zudem wenig auf den Arbeitsalltag vorbereiten. „Hiesige Berufsbilder, Bildungswege und Arbeitsmarktregeln sind für die Frauen neu.“ Aber auch sie hebt hervor, wie motiviert die Frauen seien.

Produktivität durch Diversität

Während die Arbeitskollegen von Manal Bourhan Rücksicht nehmen und bewusster auf ihre Sprache achten, ist das in der Berufsschule weniger der Fall. Für Arbeitgeber lohne es sich daher, Teilzeittätigkeiten anzubieten, um einen weiteren Spracherwerb zeitlich überhaupt erst zu ermöglichen, sagt Dovifat. Aber auch ein Patenprogramm im Unternehmen könne eine wichtige Hilfestellung sein. „Mein Team richtete spontan einen Fahrdienst ein, damit Frau Bourhan, die noch keinen Führerschein besaß, nach Arbeitsschluss schneller wieder zu Hause war, um für ihr Kind da sein zu können. Es macht uns alle stolz, dass wir einen kleinen Teil zur Integration beitragen können“, sagt Manuela Engel-Dahan. Die Zusammenarbeit mit Manal Bourhan habe den Teamgeist gestärkt. Gemäß einer Studie der „Charta der Vielfalt“ fördert Diversität im Team die Produktivität, weil Mitarbeiter durch unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen voneinander lernen und gemeinsam zu besseren Lösungen kommen.

Integration im Unternehmenskontext ist also Teamaufgabe – wie diese gelöst wird, hängt vielerorts auch davon ab, wie Führungskräfte hinter der Herausforderung stehen und wie sie Diversität im Unternehmen konkret umsetzen wollen. Für Manal Bourhan hat sich der Einsatz ihrer Chefin gelohnt. Für sie bedeutet die Ausbildung und die Arbeit neben Selbsterfüllung auch finanzielle Unabhängigkeit: „Von meinem ersten Gehalt konnte ich meinem Sohn und mir eine Kleinigkeit gönnen“, sagt Bourhan.

 

Quelle: Human Resources Manager, Ausgabe August / September 2018

 

Caroline Strobel und Valentina Mählmeyer sind Referentinnen im Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“, das vom Bundeswirtschaftsministerium und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag finanziert wird und bereits 1.800 Mitglieder bundesweit zählt. Strobel und Mählmeyer beantworten Fragen rund um das Thema „Geflüchtete Frauen“ und informieren darüber, wie sich Unternehmen mit anderen bereits erfahrenen Unternehmen vernetzen können.